Stress bringt uns in Schwung – zu viel macht krank

Der Wecker hat nicht geklingelt; in der morgendlichen Hektik verschüttet das Kind die Milch und muss wieder umgezogen werden; das Auto springt nicht an und in 10 Minuten beginnt ein wichtiger Termin. STRESS!

Stress löst beim Menschen unbewusst körperliche Reaktionen aus: Glukose als schneller Energieträger wird bereitgestellt, der Blutdruck steigt, damit die Muskulatur besser durchblutet wird, der Herzschlag und die Atmung beschleunigen sich, die Aufmerksamkeit ist erhöht. Was sich in der Evolution entwickelt hat, um Frühmenschen in Gefahrensituationen auf Kampf oder Flucht vorzubereiten und das Überleben zu sichern („Fight-or-flight-Antwort“), wirkt auch beim modernen Menschen leistungssteigernd. So sind akute Stressphasen für den Menschen durchaus nützlich. Wer unter dauerhaften Stress steht, geht hingegen ein ernsthaftes Gesundheitsrisiko ein: Frauen im Spagat zwischen Familie und Beruf genauso wie Männer mit überschätzter Leistungskapazität, Perfektionisten oder Menschen unter psychischem Druck (Scheidung, Unzufriedenheit im Beruf, Depressionen etc.) oder großer körperlicher Belastung (Leistungssport).

CortisolEin wichtiges Steuerelement der Stressreaktion ist die Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse – ein System aus drei endokrinen Drüsen, induzierten Hormonkaskaden und Feedback-Schleifen. Stressfaktoren führen darüber zur Ausschüttung des Stresshormons Cortisol aus der Nebennierenrinde. Es aktiviert verschiedene Stoffwechselvorgänge, darunter die Glukoneogenese (Neusynthese von Glukose in der Leber), die Proteolyse (Proteinabbau) und den Fettstoffwechsel. So kann vor allem das Gehirn schnell mit Energie versorgt werden. Gleichzeitig wirkt Cortisol dämpfend auf das Immunsystem, weshalb es in der Medizin zur Immunsuppression oder als entzündungshemmendes Mittel eingesetzt wird. Auch die Durchblutung von Organsystemen wie dem Magen-Darm-Trakt, die für die gesteigerte Aktivität nicht erforderlich sind, wird durch Cortisol vermindert.

Cortisol ist im Blut zu über 90% an spezifische Transportproteine gebunden. Nur etwa 10% der Moleküle zirkulieren frei – sie machen den biologisch aktiven Teil des Cortisols aus und können aufgrund ihrer geringen Größe in alle Körperflüssigkeiten diffundieren. Während Serumbestimmungen die Gesamtkonzentration des Cortisols wiedergeben, liefern Messungen im Speichel daher die Konzentration des biologisch aktiven Hormons.

Die normale Konzentration des Cortisols unterliegt einem festen Tagesrhythmus. Kurz nach dem Aufwachen steigt der Cortisolspiegel rapide an, um dann über den Tag bis zum Abend wieder abzufallen. Akute Stresssituationen führen zum vorübergehenden Anstieg der Cortisolkonzentration. Bei dauerhaftem (chronischem) Stress wird das Hormon über einen langen Zeitraum hin verstärkt ausgeschüttet, jedoch erschöpft sich die Produktion in der Nebennierenrinde irgendwann und der Cortisolspiegel sinkt unter das normale Maß.

Sowohl zu hohe als auch zu niedrige Cortisolkonzentrationen belasten auf Dauer den Körper: Ein hoher Cortisolgehalt führt zu einer dauerhaften Erhöhung des Blutzuckers (diabetische Stoffwechsellage) und des Blutdrucks, während das Verdauungssystem durch die mangelnde Durchblutung gestört und das Immunsystem supprimiert wird. Patienten mit zu niedrigem Cortisolgehalt fühlen sich vor allem kraft- und antriebslos (Burn-out, Chronic-Fatique-Syndrom).

Über- und Unterfunktionen der Nebennierenrinde (Morbus Cushing und Morbus Addison) können ebenfalls zu krankhaft erhöhten oder erniedrigten Cortisolwerten führen. Unter Umständen sind Beeinträchtigungen des Hypothalamus oder der Hypophyse, beispielweise durch Tumore, Ursache für eine Fehlfunktion der Nebennierenrinde.

Aufgrund seiner zentralen Wirkung ist Cortisol ein entscheidender Indikator für die Stressbelastung eines Menschen. Die Hormonkonzentration kann in Speichelproben gemessen werden. Das hat den Vorteil, dass man das Untersuchungsmaterial auch von Kindern oder Patienten mit entsprechenden Ängsten einfach bekommen kann. Auf diesem Wege wird auch eine verstärkte Sekretion des Stresshormons wegen einer Blutabnahme vermieden, die das Untersuchungsergebnis verfälschen würde.  Aufgrund der einfachen und schnellen Nachweismethode eignet sich die Cortisolbestimmung im Speichel auch für große Probenmengen im Rahmen von Studien, beispielsweise in der Sportmedizin.

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